Saturday, February 18, 2006

"Die Moslems sind auf dem Weg, einen Sieg in Europa zu erringen"


DIE WELT: Wie erklären Sie sich die Aufregung in Frankreich über die Mohammed-Karikaturen?
Ivan Rioufol: Ich bin enttäuscht darüber. Denn ich hatte immer gedacht, daß dem europäischen, vor allem dem französischen Islam seit über 30 Jahren die Kohabitation mit unserem demokratischen und laizistischen System gelungen sei. Wenn ich mir nun aber ihre empörten Reaktionen ansehe, dann habe ich den Eindruck, sie seien unfähig zur Anpassung an unsere Wertvorstellungen. Wenn sie jetzt auch noch fordern, hier bei uns ihre eigenen Regeln durchzusetzen, dann befürchte ich, daß wir auf eine Balkanisierung der französischen Gesellschaft zusteuern.
DIE WELT: Folgt man der Logik der Reaktionen, müßte man auch Voltaire verurteilen. Denn der hat ja in seinem Stück "Mahomet" den Propheten als einen fanatischen Verbrecher gezeichnet.
Rioufol: Dies müßte man in der Tat tun, wenn man Präsident Jacques Chirac folgt, der die Veröffentlichung der Karikaturen durch das Wochenmagazin "Charlie Hebdo" als unverantwortlich bezeichnet, den Angriff auf die französische Botschaft in Teheran aber nicht verurteilt hat. Chirac folgt leider der Argumentation jener Moslems, die solche Art von Kritik zu einem Delikt der Gotteslästerung, der Islamophobie machen wollen. Wenn wir so weitermachen, wird man Voltaire nicht mehr aufführen können. Im Grunde ist es ja schon soweit. Man kann in einem offiziellen Bericht über die Lage in gewissen Vorstadtschulen nachlesen, daß dort schon die moslemischen Regeln gelten. In manchen Vorstädten traut man sich heute nicht mehr, eine Flasche Wein aus dem Geschäft nach Hause zu tragen. Dies zeigt, daß sich dort der Islamismus schon durchgesetzt hat.
DIE WELT: Könnte es geschehen, daß neben dem Rassismus, dem Antisemitismus und der Xenophobie in Frankreich bald auch die Blasphemie per Gesetz verboten wird?
Rioufol: Nicht nur für Frankreich, sondern für ganz Europa ist das zu befürchten. Denken sie nur an die Reise des außenpolitischen Repräsentanten der EU, Javier Solana, zur Konferenz der islamischen Staaten, wo von ihm nicht nur verlangt wurde, Europa solle sich Gesetze gegen die Islamophobie geben, sondern auch den Medien zur gesetzlichen Auflage machen, auf die Gefühle der Moslems Rücksicht zu nehmen. Leider lassen die Erklärungen von Chirac darauf schließen, daß es früher oder später zu solchen Gesetzen kommt. Dies käme einem weiteren Rückzug vor dem Islamismus gleich.
DIE WELT: Sehen Sie die Gefahr, daß es in Europa zu einer Islamophobie kommt?
Rioufol: Das Risiko besteht, daß es zu einem Bruch zwischen der traditionell europäischen und der moslemischen Gemeinschaft kommt. Und es besteht auch die Gefahr, daß die rechtsextremen Parteien wegen dieser Karikaturen neue Wählerschichten gewinnen. Deshalb ist es um so dringlicher, daß die aufgeklärten, laizistischen Moslems sich zu Wort melden.
DIE WELT: Sie haben geschrieben, daß mit der Erklärung von Chirac die Moslems einen "ersten Sieg" auf europäischem Boden errungen hätten.
Rioufol: Sie sind auf dem besten Wege, einen zweiten Sieg zu erringen, sollten die Europäer dem Drängen der Konferenz der Islamischen Staaten wirklich nachgeben und sich dem islamischen Gesetz unterwerfen. Wenn wir uns in die Enge treiben lassen, ist alles verloren. Und diese Vorstellung macht mich wahnsinnig.
Ivan Rioufol ist Kolumnist von "Le Figaro". Jeden Freitag erscheinen seine "bloc-notes" mit Kommentaren zur französischen Gesellschaft.

Mit Rioufol sprach Jochen Hehn.

WELT.de

No comments: