Thursday, February 23, 2006

Satan zahlt nicht



Die Finanzierung der Hamas-Regierung von andré anchuelo


»Wir gehen ins Parlament, um jede Spur von Oslo auszuradieren«, sagte Mahmoud al-Zahar über das Mitte der neunziger Jahre entstandene Vertragswerk, auf dessen Grundlage die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) entstand. Zahar wurde der Fraktionsvorsitzende der Hamas im Parlament, zugleich führt er die islamistische Organisation im Gaza-Streifen. Premierminister der PA ist seit Samstag Ismail Haniya, der ebenfalls aus dem Gaza-Streifen stammende Spitzenkandidat der Terrororganisation bei den Wahlen. Die neue Hamas-Regierung wird ein Politiker repräsentieren, der im Westen gemeinhin als »relativ gemäßigt« beschrieben wird. Die Hamas hat damit erfolgreich den ersten großen Schritt gemacht, sich auf internationalem Parkett als respektabler Verhandlungspartner zu etablieren.
Das »teuflische Geld« aus dem Westen brauche die Hamas nicht, behauptet Zahar. Es sei wegen der Korruption der bisher regierenden Fatah-Partei ohnehin nur in dunklen Kanälen versickert. Auf die von Israel gemäß der Osloer Abkommen erhobenen Zoll- und Steuereinnahmen mag die Hamas allerdings nicht verzichten. Die Gelder, jährlich etwa 600 Millionen Dollar, werden normalerweise von Israel an die PA weitergeleitet und umfassen ungefähr ein Drittel des palästinensischen Haushaltes.
Die israelische Regierung beschloss am Sonntag, die Zahlungen zu stoppen. Die Hamas hatte diese nicht überraschende Entscheidung bereits im Vorfeld trotzig als »Diebstahl« gebrandmarkt, schließlich gehörten die Einnahmen den Palästinensern. Aber eben nur im Rahmen der Verträge, an welche die Hamas sich nicht halten will.
Und auch die aus Europa und den USA stammende Finanzhilfe, etwa eine Milliarde Dollar pro Jahr, wurde bislang auf Basis der Osloer Abkommen gezahlt, mit denen die bis dato regierende Fatah zumindest formal Israel anerkannt und auf terroristische Gewalt verzichtet hat. Auch wenn die Wirklichkeit der PA-Politik unter dem verstorbenen Yassir Arafat anders aussah, reichte der schöne Schein vor allem den europäischen Regierungen, um die Zahlungen fortzusetzen. Zwar haben EU-Vertreter und auch die US-Regierung erklärt, dass sie erst die Bildung des vollständigen Regierungskabinetts als Machtübernahme der Hamas ansehen. Doch weder diesseits noch jenseits des Atlantiks dürfte man umhin können, in wenigen Wochen zumindest die Mittel, die direkt der PA zufließen, zu sperren.
Allerdings hat Russlands Präsident Wladimir Putin die Hamas für März zu Gesprächen nach Moskau eingeladen. Anders als die EU und die USA sehe man die Hamas nicht als Terrororganisation an und wolle mit ihr über die Zukunft des Friedensprozesses diskutieren, hieß es aus dem Kreml. Noch mehr Aufsehen erregten allerdings Äußerungen des französischen Premierministers Dominique de Villepin, der die russische Initiative begrüßte. Und der türkische Außenminister Abdullah Gül empfing am Donnerstag voriger Woche eine hochrangige Hamas-Delegation zu Gesprächen in Ankara – noch vor dem offiziellen Eintritt der Islamisten in die PA-Regierung.
Für die Erschließung neuer Geldquellen dürften allerdings andere Reiseaktivitäten führender Hamas-Kader wichtiger sein. Vergangene Woche stand eine Tour durch verschiedene arabische Länder und den Iran auf dem Programm. Zudem planen die Islamisten angeblich Stippvisiten in mehreren südamerikanischen Hauptstädten. Insbesondere der fünftgrößte Ölproduzent der Welt, Venezuela, könnte für die Hamas auch finanziell interessant sein.

jungle-world.com

No comments: