Thursday, May 22, 2014

Prognosen zur Europawahl: EU vor „tiefster Krise"

Nach Ansicht vieler Wähler versagt die EU im Kampf gegen die wirtschaftlichen Probleme. Das sagte ein französischer Ökonom mit Blick auf die am Donnerstag gestartete Europawahl. Die russische Presse beschäftigt sich mit den Erfolgsaussichten der EU-Skeptiker. Der französische Ökonom Jacques Sapir, Direktor der Hochschule École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS), hält die steigende EU-Skepsis für erklärlich. Er sagte in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der „Rossijskaja Gaseta“: „Was sehen die Menschen? Brüssel zwingt ihnen regelmäßig und zunehmend verschiedene Restriktionen auf. Dabei steigt die Arbeitslosigkeit in Europa, es gibt große Probleme mit dem Wirtschaftswachstum, die Einnahmen der Europäer gehen zurück. In vielen Ländern werden drastische Sparmaßnahmen getroffen, was eine beispiellose Arbeitslosenrate verursachte. In Griechenland und Spanien erreichte sie beispielsweise 28 Prozent, in Portugal 17 Prozent und so weiter.“ Sapir bezeichnete die Situation als „äußerst kompliziert“. Abgesehen von Deutschland entspreche der Lebensstandard der Europäer derzeit dem Stand 2008. Bei vielen liege er sogar unter dieser Marke: „Darauf geht die zunehmende Unzufriedenheit der Menschen zurück: Sie sehen, dass die EU-Behörden nicht in der Lage sind, das Leben zu verbessern.“ Der Experte sagte weiter, viele Menschen hätten sich mittlerweile an den Gedanken gewöhnt, dass ihre Meinung die Entscheidungen in Brüssel nicht beeinflussen. Die EU-Skepsis komme auf doppelte Weise zum Vorschein. Erstens werde die Europawahl von vielen Wählern boykottiert, zweitens steige der Einfluss der Parteien, die gegenüber der EU feindlich gestimmt sind. Der Europäischen Union drohe eine „tiefste Krise“, die sie nicht unbedingt verkraften könne. „Jedenfalls sehe ich nicht, wie die diesjährige Europawahl die Lage verbessern könnte. Dass die EU-Skeptiker mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Positionen stärken werden, wird diese Krise nur weiter schüren“, so Sapir. Zunächst werden die Wähler in Großbritannien und den Niederlanden zur Urne gebeten. In diesen Ländern haben die Rechtspopulisten alle Chancen darauf, ins neue Europäische Parlament einzuziehen. Die United Kingdom Independence Party (UKIP) und die niederländische Partij voor de Vrijheid (PVV) haben zum Auftakt der Wahl laut Umfragen gute Zustimmungswerte. Diese betragen jeweils 30 und 14 Prozent, wie die russische Tageszeitung „Kommersant“ am Donnerstag berichtete. Expertin Ljudmila Babynina vom russischen Europainstitut sagte dem Blatt: „Obwohl Großbritannien an einem Ausstieg aus der EU eigentlich nicht interessiert ist, wird die Abstimmung im Land zu einem großen Teil EU-skeptisch sein. Es wäre jedoch nicht richtig, bereits nach dem ersten Wahltag über die Konstellation innerhalb der Europäischen Union zu urteilen. Erstens haben die Briten traditionell ein gewisses Misstrauen zum geeinten Kontinentaleuropa. Zweitens klingen die Proteststimmen oft lauter als die anderen, obwohl sie nicht die reale Balance widerspiegeln.“ Die russische „Nesawissimaja Gaseta“ berichtete am Donnerstag über den jüngsten Auftritt des Chefs der holländischen PVV-Partei, Geert Wilders, in Brüssel. Wilders schnitt einen Stern aus der EU-Flagge aus und sagte: „Wir wollen kein Brüssel, wir wollen keine EU. Ich will diesen Stern den Niederlanden und dem holländischen Volk zurückgeben. Wir brauchen keine europäische Flagge, wir haben unsere holländische Flagge.“ Laut Wilders haben EU-Skeptiker in verschiedenen Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Österreich, Holland und Belgien genug Gemeinsamkeiten, um politisch zusammenzuarbeiten.
ruvr.ru

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