Eine Ergänzung zum Beginn: Kurz nachdem die folgenden Zeilen
geschrieben wurden, trafen die ersten Meldungen ein, dass es sich bei
dem Machetenangreifer von Charleroi um einen 33 Jahre alten Algerier
handeln soll, der seit 2012 in Belgien lebte. Der Mann sei
polizeibekannt gewesen, nur nicht im Zusammenhang mit Terrorismus. Auch
der „Islamische Staat“ hat sich nun offiziell zu dem Attentat bekannt
und ihm damit sein islamistisches Prüfsiegel verliehen. Insofern ändert
sich nun auch die Berichterstattung und verlässt vielleicht den
beschriebenen Schongang.
Es ist Sonntagvormittag und was hören wir von einem Ereignis am
Vortag? Ein Mann geht im belgischen Charleroi mit einer Machete und
unter „Allahu akbar“-Rufen auf Polizeibeamtinnen los und versucht, diese
zu töten. Bei zwei Verletzten – eine davon schwer – endet seine
Opferbilanz, dann wird er von Polizeibeamten erschossen. Jetzt könnte
man das Offenkundige berichten, nämlich dass schon wieder ein Islamist
die Ungläubigen mit einem Anschlag treffen wollte. Natürlich sind dann
immer noch viele Fragen offen, beispielsweise, ob der Mann einen Befehl
von außen bekam oder ob er sich diesen selbst gegeben hat. Außerdem
wüsste man natürlich gern, ob es sich um einen autochthonen Einwohner,
einen Mann mit Migrationshintergrund oder einen auf Einladung der
deutschen Bundeskanzlerin eingereisten „Flüchtling“ handelte.
Antwort auf diese Fragen erhielt der geneigte deutschsprachige
Medienkonsument längere Zeit nicht. Nach Stunden wurde ihm immerhin die
Gewissheit mitgeteilt, dass es wahrscheinlich einen „terroristischen
Hintergrund“ gäbe. In vielen Meldungen wurde zwar der „Allahu akbar“-Ruf
des Attentäters erwähnt, aber der Wortstamm „Islam“ wird in jedweder
Form peinlich vermieden. Soll der geneigte Medienkonsument darüber
nachdenken, welche nicht-islamischen Terroristen unter dieser arabischen
Anrufung Gottes morden könnten? Dem Autor dieser Zeilen fallen keine
ein. Entweder bin ich also zu dumm, so dass mir der Berichterstatter
doch bitte erklären könnte, welches nicht-islamistische Motiv für die
Tat in Frage kommt oder er soll es beim Namen nennen. Immer dann, wenn
islamistische Attentäter zuschlagen, hat man das Gefühl, mit einer Art
betreuender Berichterstattung konfrontiert zu werden, die so tut, als
gäbe es irgendeine Erklärung für die Tat, die „nichts mit dem Islam zu
tun“ hat, auch wenn den Berichterstattern gerade keine einfällt.
Es ist beinahe verwunderlich, dass es noch keinen Hinweis auf
eventuelle psychische Probleme des Attentäters gab, der vor ein
Polizeirevier zog, um Polizistinnen anzugreifen. Vielleicht kollidiert
das etwas mit der Absicht, nicht allzuviel von Herkunft und Vorleben des
jungen Mannes preiszugeben. Immerhin haben wir ja schon vor Monaten von
unserem Innenminister erfahren, dass es Informationen gibt, die die
Öffentlichkeit nur unnötig beunruhigen würden. So ist es nur Fürsorge,
wenn der Informationsbetreuer uns hier nicht überfordert.
Vielleicht sollten wir uns dafür einmal bedanken. Immerhin sind die
betreuenden Berichterstatter ja nicht ganz erfolglos. Wer beispielsweise
vor ein paar Tagen in London eine Frau erstochen und andere Passanten
mit seinem Messer verletzt hat, haben wir im deutschsprachigen Raum
nicht erfahren. Zumindest so lange die aktuellen Meldungen liefen, war
es ein vollkommen herkunftsloser 19-Jähriger, dann war der Fall wieder
vergessen. Die Antwort auf die Frage, ob es nun ein Islamist war oder
nicht, kann uns deshalb nicht mehr beunruhigen. Ist das nicht schön? So
schaffen wir das vielleicht.
Kontraproduktiv wäre es da, zu viel aus Charleroi zu berichten oder
die Nachricht zu verbreiten, dass am Sonntag in Lüttich ein Mann
festgenommen wurde, der mit der Machete in die Stadt zog. Es handelte
sich um einen etwa 20-Jährigen, meldete die Nachrichtenagentur Belga.
Mehr Beunruhigendes wird zum Glück derzeit nicht verbreitet. Lehnen Sie
sich doch einfach zurück und genießen Sie das ruhige Leben, dass Sie
durch die betreuende Berichterstattung gewinnen. Zumindest so lange, bis
Sie der verleugneten Wirklichkeit dann irgendwann selbst begegnen. Aber
bis dahin ist es doch schöner, wenn man nicht immer über all das
nachdenken muss, oder?
Alter Nachtrag: In etwas späteren Meldungen ist tatsächlich auch ein
Satz mit der Formulierung „islamistischer Hintergrund“ aufgetaucht. In
diesen Tagen kann einen die Wirklichkeit eben schnell überholen während
man schreibt.
Neuer Nachtrag: War das jetzt ungerecht gegenüber den
Journalistenkollegen, die einfach nur die Nachrichtenlage abgewartet
haben? Zum Teil ja, aber das Problem des weit
verbreiteten islamistenschonenden Zungenschlages bleibt. Man hätte das
Attentat auch vor der Identifizierung des Attentäters schon einen
islamistischen Anschlag nennen können. Soviel war offenkundig. Es
dennoch zu vermeiden, schürt leider einfach den Verdacht, man soll vor
beunruhigenden Schlussfolgerungen geschützt werden.
Siehe auch http://www.tagesspiegel.de/politik/charleroi-in-belgien-macheten-angriff-hatte-vermutlich-terroristischen-hintergrund/13979486.html, http://www.ln-online.de/Nachrichten/Brennpunkte/Belgien-stuft-Machetenangriff-von-Charleroi-als-Terrorakt-ein und http://sichtplatz.de/?p=6489
sichtplatz.de
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