Sunday, August 07, 2016

Betreuende Berichterstattung?

Eine Ergänzung zum Beginn: Kurz nachdem die folgenden Zeilen geschrieben wurden, trafen die ersten Meldungen ein, dass es sich bei dem Machetenangreifer von Charleroi um einen 33 Jahre alten Algerier handeln soll, der seit 2012 in Belgien lebte. Der Mann sei polizeibekannt gewesen, nur nicht im Zusammenhang mit Terrorismus. Auch der „Islamische Staat“ hat sich nun offiziell zu dem Attentat bekannt und ihm damit sein islamistisches Prüfsiegel verliehen. Insofern ändert sich nun auch die Berichterstattung und verlässt vielleicht den beschriebenen Schongang.
Es ist Sonntagvormittag und was hören wir von einem Ereignis am Vortag? Ein Mann geht im belgischen Charleroi mit einer Machete und unter „Allahu akbar“-Rufen auf Polizeibeamtinnen los und versucht, diese zu töten. Bei zwei Verletzten – eine davon schwer – endet seine Opferbilanz, dann wird er von Polizeibeamten erschossen. Jetzt könnte man das Offenkundige berichten, nämlich dass schon wieder ein Islamist die Ungläubigen mit einem Anschlag treffen wollte. Natürlich sind dann immer noch viele Fragen offen, beispielsweise, ob der Mann einen Befehl von außen bekam oder ob er sich diesen selbst gegeben hat. Außerdem wüsste man natürlich gern, ob es sich um einen autochthonen Einwohner, einen Mann mit Migrationshintergrund oder einen auf Einladung der deutschen Bundeskanzlerin eingereisten „Flüchtling“ handelte.
Antwort auf diese Fragen erhielt der geneigte deutschsprachige Medienkonsument längere Zeit nicht. Nach Stunden wurde ihm immerhin die Gewissheit mitgeteilt, dass es wahrscheinlich einen „terroristischen Hintergrund“ gäbe. In vielen Meldungen wurde zwar der „Allahu akbar“-Ruf des Attentäters erwähnt, aber der Wortstamm „Islam“ wird in jedweder Form peinlich vermieden. Soll der geneigte Medienkonsument darüber nachdenken, welche nicht-islamischen Terroristen unter dieser arabischen Anrufung Gottes morden könnten? Dem Autor dieser Zeilen fallen keine ein. Entweder bin ich also zu dumm, so dass mir der Berichterstatter doch bitte erklären könnte, welches nicht-islamistische Motiv für die Tat in Frage kommt oder er soll es beim Namen nennen. Immer dann, wenn islamistische Attentäter zuschlagen, hat man das Gefühl, mit einer Art betreuender Berichterstattung konfrontiert zu werden, die so tut, als gäbe es irgendeine Erklärung für die Tat, die „nichts mit dem Islam zu tun“ hat, auch wenn den Berichterstattern gerade keine einfällt.
Es ist beinahe verwunderlich, dass es noch keinen Hinweis auf eventuelle psychische Probleme des Attentäters gab, der vor ein Polizeirevier zog, um Polizistinnen anzugreifen. Vielleicht kollidiert das etwas mit der Absicht, nicht allzuviel von Herkunft und Vorleben des jungen Mannes preiszugeben. Immerhin haben wir ja schon vor Monaten von unserem Innenminister erfahren, dass es Informationen gibt, die die Öffentlichkeit nur unnötig beunruhigen würden. So ist es nur Fürsorge, wenn der Informationsbetreuer uns hier nicht überfordert.
Vielleicht sollten wir uns dafür einmal bedanken. Immerhin sind die betreuenden Berichterstatter ja nicht ganz erfolglos. Wer beispielsweise vor ein paar Tagen in London eine Frau erstochen und andere Passanten mit seinem Messer verletzt hat, haben wir im deutschsprachigen Raum nicht erfahren. Zumindest so lange die aktuellen Meldungen liefen, war es ein vollkommen herkunftsloser 19-Jähriger, dann war der Fall wieder vergessen. Die Antwort auf die Frage, ob es nun ein Islamist war oder nicht, kann uns deshalb nicht mehr beunruhigen. Ist das nicht schön? So schaffen wir das vielleicht.
Kontraproduktiv wäre es da, zu viel aus Charleroi zu berichten oder die Nachricht zu verbreiten, dass am Sonntag in Lüttich ein Mann festgenommen wurde, der mit der Machete in die Stadt zog. Es handelte sich um einen etwa 20-Jährigen, meldete die Nachrichtenagentur Belga. Mehr Beunruhigendes wird zum Glück derzeit nicht verbreitet. Lehnen Sie sich doch einfach zurück und genießen Sie das ruhige Leben, dass Sie durch die betreuende Berichterstattung gewinnen. Zumindest so lange, bis Sie der verleugneten Wirklichkeit dann irgendwann selbst begegnen. Aber bis dahin ist es doch schöner, wenn man nicht immer über all das nachdenken muss, oder?
Alter Nachtrag: In etwas späteren Meldungen ist tatsächlich auch ein Satz mit der Formulierung „islamistischer Hintergrund“ aufgetaucht. In diesen Tagen kann einen die Wirklichkeit eben schnell überholen während man schreibt.
Neuer Nachtrag: War das jetzt ungerecht gegenüber den Journalistenkollegen, die einfach nur die Nachrichtenlage abgewartet haben? Zum Teil ja, aber das Problem des weit verbreiteten islamistenschonenden Zungenschlages bleibt. Man hätte das Attentat auch vor der Identifizierung des Attentäters schon einen islamistischen Anschlag nennen können. Soviel war offenkundig. Es dennoch zu vermeiden, schürt leider einfach den Verdacht, man soll vor beunruhigenden Schlussfolgerungen geschützt werden.
Siehe auch http://www.tagesspiegel.de/politik/charleroi-in-belgien-macheten-angriff-hatte-vermutlich-terroristischen-hintergrund/13979486.html, http://www.ln-online.de/Nachrichten/Brennpunkte/Belgien-stuft-Machetenangriff-von-Charleroi-als-Terrorakt-ein und http://sichtplatz.de/?p=6489

 sichtplatz.de

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