Sunday, June 18, 2017

Totalversagen

Am Mittwoch wird sich der Deutsche Bundestag über eine ganze Stunde lang mit dem von ihm in Auftrag gegebenen 2. Expertenbericht Antisemitismus beschäftigen. Am Nachmittag, immerhin nicht zu nachtschlafener Zeit, dürfte die Debatte für die Abgeordneten freilich kaum mehr sein als ein Pflichttermin zum Auftakt der Parlamentswoche. Problemlösungen sind wohl nicht zu erwarten.
Denn ganz offenbar liegen zu der Plenardebatte keinerlei Anträge einer Fraktion vor. Man wird die Arbeit der Experten zur Kenntnis nehmen, ihnen danken und in großer Einigkeit noch ein paar wohlfeile Worte darüber verlieren, wie bedauerlich es doch sei, daß dem Antisemitismus so schwer beizukommen ist. Kurz: Es wird eine Chance vertan werden, sich dem Thema ernsthaft zu nähern.
Die Expertenkommission hat ihrem Bericht Handlungsempfehlungen beigegeben, deren Umsetzung jedenfalls in Teilen gewiß besser gestern erfolgte als in einer ungewissen Zukunft. Doch von einer Diskussion konkreter Vorschläge zur Umsetzung dieser Empfehlungen ist das deutsche Parlament weit entfernt. Das zeigt sich auch beim Umgang mit einer Forderung des Europäischen Parlaments.
Diese Volksvertretung hatte den Mitgliedsstaaten kürzlich dringend empfohlen, eine verbindliche Definition des Phänomens Antisemitismus zu formulieren oder zu übernehmen: Die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hat vor einem Jahr einen Vorschlag dazu unterbreitet, doch auch hier drückt sich der Bundestag seither vor einer Reaktion – und sei es eine Ablehnung.
Nicht zuletzt der Beginn eines nach seiner »Erstausstrahlung« in der vergangenen Woche erst recht umstrittenen Films über das Phänomen hat gezeigt, wie weit Antisemitismus reicht: Martin Schulz applaudiert als Präsidenten des Europäischen Parlaments einer »inspirierenden« antisemitischen Rede. Und zwölf Monate später ist der Sozialdemokrat Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf.
Niemand bestreitet die Authentizität der Aufnahmen aus dem Europäischen Parlament. Haßrede wie die Reaktion auf sie sind dokumentiert. Und dennoch scheint dieses Verhalten der Berliner Politik nicht einmal erörterungsbedürftig. Niemand findet es anstößig, niemand heuchelt Bedauern. Das völlige Ausbleiben eines Skandals offenbart, wie nötig eine wirkliche Diskussion wäre.
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