Wednesday, November 22, 2017

Mein dunkles Land

Die Fahrradhelm-Birkenstock-Leute haben früher im selben Viertel gewohnt wie die Nikab-Frau und deren vielköpfiger Familienclan. Gerade als ihre Kinder ins schulpflichtige Alter kamen, sind sie in den Speckgürtel am Stadtrand gezogen, natürlich aus rein ökologischen Gründen und ein bisschen auch, weil ihnen die Junkies immer die Fahrräder aus dem Hausflur klauten.
Der Rabbiner fühlt sich bedroht durch den Ehemann der Verschleierten, der ihm schon mehrfach durch Halsabschneide-Gesten und demonstratives Ausspucken deutlich gemacht hat, was er von Juden hält und übrigens auch von  – wie er sich ausdrückte – „Schwuchteln“ und anderen Queer-Menschen. Nun hadert der Rabbi mit sich, ob er weiter im „bunten“ Bezirk ausharren oder es den meisten anderen aus seiner kleinen Gemeinde nachtun soll, die längst das Weite gesucht haben, teilweise sogar nach Israel ausgewandert sind. Er hat sich schon an die sonst so engagierte Reporterin vom Lokalsender gewandt, aber die hat gleich abgewinkt, als sie erfuhr, dass es nicht um deutsche Antisemiten geht.
Seit sie an einem lauen Sommerabend im Park von „Jugendlichen“ zusammengeschlagen wurden, wagen die beiden schwulen Männer Klaus und Roland nicht mehr, sich auf offener Straße zu küssen. Zufälliger Zeuge des Überfalls war der Rastalocken-Kiffer, der das aber schön für sich behalten hat, denn einer von den Angreifern war sein Dealer, außerdem wissen alle, wo sein Haus steht. Jetzt hat Klaus, bis dato eingeschworener Grünen-Wähler, die Faxen dicke und überlegt, mal beim örtlichen Pegida-Ableger mitzulaufen. Da sind zwar auch ein paar Spießer dabei, aber viele, hat er festgestellt, haben ähnliche Erfahrungen gemacht wie er und wollen einfach nicht, dass ihr Stadtteil weiter den Bach runtergeht.
Die Rollstuhl-Rentnerin hockt einsam in ihrer Wohnung, denn in diesem immer unsicherer werdenden Kiez findet sie keine Haushaltshilfen mehr. In ihrer Verzweiflung hat sie sich an den evangelischen Pfarrer gewendet, aber auch er hatte keine Zeit für sie. Sein kürzlich erfolgtes Coming-out und die „Flüchtlingsarbeit“, die ihm ordentlich Steuergelder in die klammen Gemeindekassen spült, sind ihm wichtiger als seelsorgerliche Gespräche mit langweiligen Normalbürgern.
Die Nikab-Frau empfand bis vor kurzem beim Anblick der Dragqueen immer eine eigentümliche Faszination. Diese Frau, die eigentlich ein Mann ist, nimmt sich Freiheiten heraus, von denen sie selbst nicht einmal träumen darf. Neulich ist sie – als kleine Mutprobe – einmal ohne ihre Verschleierung einkaufen gegangen. Leider hat sie einer ihrer Brüdas dabei beobachtet, worauf ihr Mann sie so verprügelt hat, dass sie wochenlang ein völlig geschwollenes Gesicht hatte. Da war sie richtig dankbar, es mit dem Nikab bedecken zu können. Seitdem hat sie für die Dragqueen und all die anderen Ungläubigen nur noch Hass und Abscheu übrig.
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